James Lawrence war in Eile, als er in seiner zweitbesten Uniform durch die Straßen von Portsmouth schritt, immer darauf bedacht die größeren Pfützen und Dreckflecken zu meiden. Hier am Hafen ging es mit dem Unrat und vor allem dem Gestank noch, dafür war es hier enorm voll. James hielt sich an die große Hafenstraße und war froh, dass der Weg im allgemeinen nicht zu weit war. Er hatte sich von seinen Bootsgasten so dicht an das Kerkergebäude rudern lassen, wie es zur See eben ging und musste nun nur noch das letzte Stück des Weges an Land zurück legen. Es war sowieso eine Unmöglichkeit, dass er diesen Gang überhaupt selbst antreten musste. Normalerweise hätte er seinen ersten, oder zweiten Offizier geschickt, nur hatte er im Moment weder den einen, noch den anderen. Überhaupt hatte er keinerlei Offiziere bis auf einen alten, versoffenen Leutnant, den er am liebsten postwendend wieder an Land setzen würde. Und dann waren da noch zwei junge Fähnriche, denen er mit Sorge im Bauch das Kommando über die Blackwater übertragen hatte, während er fort war.
Ja, die Blackwater... erst vor drei Tagen hatte er in London von der Admiralität seine Befehle erhalten, die besagten, dass er sich schnellstmöglich an Bord der Blackwater zu begeben hatte, um... und so weiter. Ein langes und ausführliches Schreiben, wie man es von der Admiralität gewohnt war. Es besagte jedenfalls, dass er, James Lawrence, gerade erst vor einem halben Jahr zum Vollkapitän befördert, das Kommando über diese wunderschöne, schneidige und elegante Fregatte übertragen bekam. Es war ihm wie ein Wunder vorgekommen und so recht konnte er sein Glück kaum fassen. All zu viele Kapitäne gab es, die mit Halbsold an Land saßen und sehnsüchtig auf ein Schiff warteten. Und das bedeutend länger, als er. Aber er schien wirklich einmal im Leben Glück zu haben. Ein Glück, das so groß war, dass ihn die kleineren Unglücke, die seitdem gefolgt waren, gar nicht groß belasten konnten.
Die Blackwater schwamm zwar und hatte auf den ersten Blick alles, was ein ordentliches Schiff haben musste, doch fehlten noch tausende Kleinigkeiten, bis die Fregatte tatsächlich in See stechen konnten. Unter anderem fehlten mehr als die Hälfte der Besatzung, sowie fast alle Offiziere. Dabei war die Admiralität doch sonst so schnell dabei die begehrten Offiziersplätze zu besetzen... alles äußerst merkwürdig. Aber vielleicht blieb ihm so die Zeit, einige Bekannte und Freunde in diese Positionen zu hieven, was ihm deutlich lieber wäre, als irgendwelche Pappnasen von oben vorgesetzt zu bekommen.
Heute Morgen war James aber wegen etwas anderem unterwegs. Auf Anfrage hatte man ihm bestätigt, dass es im Kerker einige Dutzend Verurteilte gab, die auf See geschickt werden sollten. Zwar war der Inhalt des Kerkers nicht unbedingt das Beste Material um ein Schiff zu bemannen, aber angesichts seines verheerenden Mangels an Matrosen, musste er erstmal alles nehmen, was er bekommen konnte. Und er musste sich beeilen, denn auch die Achilles und die York, beides große Linienschiffe, waren im Hafen und hatten Bedarf an Männern. Bevor also diese beiden sich die Gefangenen schnappten, nahm er lieber selbst die Füße in die Hand. Bis er von den Behörden die nötigen Männer frei Haus geliefert bekam, konnten noch Monate vergehen und James wollte so bald wie möglich in See stechen!
Am Kerker angekommen, bemerkte er wieder einmal, dass dieser Ort ihn bedrückte. Es war eng und zugig im inneren des alten Gemäuers und selbst die freundlicher gestalteten Verwaltungsbereiche übten auf ihn den Eindruck von Enge und Beklemmung aus. Der Kommandant, Andrew Parker, hatte ihn schon erwartet und grinste wissend, als er den jungen Kapitän direkt am Eingang zu einem langen Korridor voller Zellen empfing. Nicht in seinem Büro. Offenbar wollte der Mann Zeit sparen. James war es nur recht.
"Ah ja, Lawrence, von der Blackwater, ich erinnere mich." murmelte er, sich offenbar nicht wirklich irgendwelcher Respektsbekundungen verpflichtet sehend. "Sie sind wegen der Gefangenen hier, nicht wahr? Nun, wir haben hier einige Verurteilte, die kann ich Ihnen geben. Aber es sind nicht viele..." James kannte die Spielchen mit den Hafenbehörden, den Kommandanten und allen anderen Beamten, von denen man irgendetwas wollte, schon und er wusste, dass Parker lediglich für sich etwas herausschinden wollte. Natürlich war es dem Mann vollkommen egal, wohin er seine übervollen Zellen entleerte, solange sein karger Sold dabei noch etwas aufgebessert wurde. James hatte damit gerechnet und so drückte er dem Mann einen Beutel mit einigen Münzen in die Hand. Sein Privatvermögen war nicht groß, aber was er hatte, würde er mit Freuden in sein Schiff stecken, denn nur auf See lag für ihn eine Chance, an Geld zu kommen, sah man von seinem Sold als Vollkapitän einmal ab.
"Geben Sie mir jede Landratte, die nur zwei Beine und Arme hat und an einem Tau ziehen kann, Mr. Parker." verlangte er, als das Gesicht des Kommandanten sich aufhellte. Geschäftig zog der ältere Mann nun einen Schlüssel aus der Tasche und schloss die schwere Tür zum Zellentrakt auf. James war schon eben das Geschrei irgend eines Verrückten aufgefallen. Nun wurde es lauter und er konnte verstehen, was der Mann sagte. Er verlangte, mit zahlreichen Beschimpfungen, wieder auf sein Schiff gebracht zu werden.
"Der schreit schon den ganzen Morgen rum..." meinte Parker leicht belustigt. "Hat Gestern die Tochter vom Hafenadmiral in einer Spelunke am Hafen belästigt und sich danach mit den Gentlemen geprügelt, die bei ihr waren. Er ist heute Morgen verurteilt worden, Sie können ihn mitnehmen. Wenn man seinem Geschrei glauben kann, ist er zumindest Seemann, das wird Sie freuen. Die anderen sind der Abschaum von Portsmouth Straßen, aber das haben Sie ja bestimmt erwartet." während James sich fragte, was die Tochter des Hafenadmirals - durchaus ein hübsches Ding, aber leider überhaupt nicht empfänglich für Avancen - wohl in einer Hafenspelunke gesucht hatte, rief Parker einen Trupp Wachmänner herbei, die ein halbes Dutzend Zellentüren öffneten um ungefähr drei dutzend traurige Gestalten daraus hervor zu zerren.
"Los los, ihr Jammerlappen, raus da. Für Euch gibts jetzt Freiheit. Die Freiheit der See! Kapitän Lawrence, von der Blackwater, ist so freundlich, Euch auf eine Rundfahrt mitzunehmen." begleitet wurden seine Worte vom Schubsen der Wärter und vom Klirren der Fußketten, die nun einem der Gefangenen nach dem anderen angelegt wurden, so dass sie am Ende alle aneinander hängen würden.
"Seien Sie so freundlich und leien Sie mir einige Ihrer Gardisten aus, die mir helfen diese Männer zu meinem Schiff zu bringen, dann will ich Sie nicht weiter belästigen, Mr. Parker." meinte James in leiser, ruhiger Stimme, die in starkem Kontrast zu dem Gebrüll des Kommandanten stand. Lawrence war keineswegs schüchtern oder leise, aber hier an diesem Ort verspürte er auch nicht den Wunsch unbändig herum zu brüllen. Genau genommen wollte er eigentlich schnellstens wieder ins Freie. Während er noch darauf wartete, dass die Fußketten allesamt angelegt wurde, ließ James seinen Blick über die Gefangenen schweifen, die da im Zwielicht, welches nur von einigen Laternen beleuchtet wurde, vor ihm standen. Was für ein jämmerlicher Haufen. Einige Wochen Seeluft, regelmäßiges Essen und harte Arbeit würden ihnen gut tun. In der Hoffnung etwas erfreuliches zu erblicken, suchte er nach dem Schreihals von eben...